Die Bedeutung der psychischen Gesundheit in der Schule ist in den letzten Jahren seit der Corona-Pandemie zu einem immer dringlicheren Thema geworden. Fast jede:r dritte Schüler:in (32%) leidet an Schlafproblemen, während fast jede:r zweite Schüler:in (43%) unter Stress leidet. Innerhalb eines Jahres erkrankt fast jede fünfte unter 18-Jährige* an einer psychischen Störung. Im Schulalter nehmen vor allem Ängste und Depressionen zu. Leider werden diese Probleme in Schulen kaum thematisiert, der Bund ergreift zu wenig Maßnahmen, um Aufmerksamkeit auf das Thema zu lenken, die Situation in den Schulen zu verbessern und die Schüler:innen zu unterstützen, dadurch fühlen sie sich oft alleine gelassen. Der Bund muss dringend die Bundesländer und einzelne Schulen dabei unterstützen, schulische Risikofaktoren zu minimieren, Hilfsangebote zur Verfügung zu stellen und über die Thematik aufzuklären.
Säule 1: Schulische Risikofaktoren:
In den Schulen selber gibt es zahlreiche Risikofaktoren, welche dazu beitragen, dass die psychische Gesundheit der Schüler:innen beeinträchtigt wird. Die Schulen selber müssen dringend in der Schüler:innenschaft auf diese Aufmerksam machen, sowie sicherstellen, dass diese minimiert werden. In der Prävention von psychischen Krankheiten können diese am effektivsten bekämpft werden.
Mobbing
Der Bund muss Präventions- und Aufklärungsprogramme initiieren und finanziell unterstützen, welche versuchen, Mobbing im Schulalltag zu verhindern sowie darüber aufzuklären. Diese sollten einen besonderen Fokus darauf legen, Schüler:innen, die Mobbing in der Schule erfahren, zu ermutigen, die gemobbten Personen zu unterstützen. Außerdem müssen die Programme über die nachhaltigen Folgen für die psychische Gesundheit aufklären. Hierbei sollten auch Streitschlichter:innenprogramme gefördert werden. Diese können für die Schüler:innen Ansprechpartner:innen auf einer Ebene darstellen, was die Hemmschwelle, sie anzusprechen, verringert.
Schulen sollten in regelmäßigen Abständen erheben, wie sich Ausmaß und Frequenz von Mobbing innerhalb der Schüler:innenschaft verhalten und welche Schüler:innengruppen besonders häufig betroffen sind. Das BMBF muss hierfür mit Fachexperten geeignete, praktikable Evaluationsinstrumente entwickeln und den Schulen bundesweit zur Verfügung stellen sowie Fortbildungen anbieten, die Lehrkräfte und Schulleitungen in der effektiven Verwendung dieser Instrumente schulen.
Um die Schulgemeinschaft zu stärken, sollten außerdem Nachmittagsangebote und Arbeitsgemeinschaften gefördert werden. Diese sollen eine breite Spanne von Interessen ansprechen und Schüler:innen aktiv in ihre Gestaltung einbeziehen. Verschiedene Jahrgangsstufen in dieselben Angebote zu inkludieren fördert ein harmonisches soziales Umfeld und gibt älteren Schüler:innen die Möglichkeit, jüngere zu unterstützen. Damit ein gewinnbringendes Konzept für Nachmittagsangebote auch an Schulen mit weniger finanziellen Ressourcen umgesetzt werden kann, ist die Bereitstellung ausreichender finanzieller Ressourcen und inhaltlicher Unterstützung des Bundes notwendig.
Stress und Leistungsdruck
Schüler:innen werden in der Schule täglich mit einer Vielzahl von Herausforderungen konfrontiert, die über das reine Lernen hinausgehen. Der zunehmende Druck und die hohen Anforderungen können bei vielen Schüler:innen zu erheblichem Stress führen. Das Schulsystem unterstützt sie allerdings kaum dabei, ihn zu bewältigen:
Unabhängig von den Umständen, in denen sich die Schüler:innen befinden, wird erwartet, dass sie alles tun, um ihre Leistungen zu verbessern und den Stoff, der vermittelt wird, zu lernen. Zum Beispiel erwarten Lehrkräfte von Schüler:innen, die gerade nach einer Krankheit in den Schulalltag zurückkehren, oftmals, dass sie die verpassten Inhalte bereits nachgeholt haben, sowie dass alle versäumten Aufgaben und Hausaufgaben nachgearbeitet wurden. Dies könnte mit den entsprechenden Mitteln verbessert werden, sodass das Lehrpersonal wie auch die Schüler:innen aufgeklärt und sensibilisiert werden in Anbetracht des Themas.
Um den im schulischen Raum herrschenden Leistungsdruck zu minimieren, sollen vom Bund für die Lernförderung Räume zum gemeinschaftlichen Lernen nach dem Unterricht geschaffen werden. Zusätzlich sollen den Schüler:innen schulinterne Seminare angeboten werden, welche Lerntechniken und Tipps zur stressfreien Lernorganisation und effektiven Vorbereitung für Klausuren vermitteln. Somit lernen die Schüler:innen, wie sie ihr volles Potenzial ausschöpfen und sich selbst verbessern können. Die Bundesregierung sollte Schulen durch einen Fördertopf mit Bundesgeldern bei solchen Seminaren finanzielle Unterstützung leisten.
Es ist essenziell das während des Umgangs mit Schüler:innen und ihren Leistungen ein pädagogischer Ansatz verfolgt wird, welcher einen toleranten Umgang mit dem „Scheitern“ während der Schulzeit etabliert. Er soll betonen, dass ein schulisches „Versagen“ nicht gleichzusetzen ist mit einer allgemeinen Unfähigkeit, den schulischen Anforderungen gerecht zu werden. So ist zu verhindern, dass schulisches Scheitern in Versagensängsten, Demotivation und letztendlich in Schulwechseln oder Schulabbrüchen resultiert.
Neurodiversität
Besonders in Schulen, einem dynamischen Umfeld, ist es herausfordernd, gut mit Neurodiversität umzugehen. Dennoch tragen Schulen eine Verantwortung gegenüber ihren Schüler:innen, sowohl im Hinblick auf die Vermittlung von Lehrinhalten als auch auf die Schaffung eines inklusiven Lernumfelds. Die Anzahl neurodiverser Schüler:innen sollte nicht unterschätzt werden. Schätzungen des Bundesministeriums für Gesundheit deuten auf einen Anteil von 2-6% von Kindern und Jugendlichen mit ADHS hin, und das Bundesamt für Umwelt gibt einen Anteil von 1% für Menschen mit ASS an.
Die Bundesschülerkonferenz fordert deswegen, dass alle Lehrer:innen einen Zugang zu Fortbildungen im Umgang mit ASS und ADHS bei Schüler:innen haben sollten. Diese Fortbildungen sollten als integraler Bestandteil des Referendariats betrachtet und finanziell vom Bund übernommen werden, ohne Kosten für angehende Lehrer:innen.
Außerdem fordert die Bundesschülerkonferenz, dass Nachteilsausgleiche nach Abschluss der Diagnose oder bei begründetem Verdacht auf eine neurodiverse Störung gewährt werden. Der Prozess zur Erlangung dieser Ausgleiche sollte niedrigschwellig sein und nicht von proaktivem Handeln der Eltern abhängen. Es sollten keine Kosten für den Erwerb dieser Ausgleiche anfallen. Die Inhalte der Nachteilsausgleiche sollen von den diagnostizierenden Ärzten festgelegt und von den Schulen mit zusätzlicher Arbeitszeit in Prüfungen und im regulären Unterricht umgesetzt werden.
Insgesamt sollte darauf geachtet werden, dass Schüler:innen mit Neurodiversität nicht alleine gelassen werden, um ein erfolgreiches Lernen zu ermöglichen. Alle Schüler:innen sollten über Neurodiversitäten informiert werden, um Mobbing präventiv zu verhindern.
Säule 2: Hilfsangebote und Vernetzung
Für Schüler:innen, die von psychischen Erkrankungen betroffen sind, ist es von entscheidender Bedeutung, dass Schulen gezielte Maßnahmen ergreifen, um sie zu unterstützen. Darüber hinaus haben Schulen eine bedeutende Rolle bei der Früherkennung von psychischen Krankheiten und der Bewertung von Entwicklungen dieser. In dieser Hinsicht müssen Schulen einen wertvollen Beitrag zur psychischen Gesundheit ihrer Schüler:innen leisten.
Erkennung und Bewertung Die Schulen sollen einen Leitfaden erhalten, wie mit psychischen Problemen bei Schülern umgegangen werden soll. Dieser Leitfaden dient nicht einer Bevormundung der beteiligten Akteure, vielmehr soll er Orientierung in einen Bereich bringen, indem oftmals kein Wissen über die bestehenden Angebote und Strukturen herrscht. Weiterhin sollen Lehrkräfte einen Beurteilungsbogen an die Hand bekommen, anhand dessen sie Auffälligkeiten bei Schülern erkennen können. Multiprofessionelle Teams sollen vermehrt Einzug in Schulen erhalten, jedoch unter der klaren Prämisse, dass diese auf Landesebene gut vernetzt sind. Hierbei ist es notwendig, dass Lehrkräfte bereits in ihrem Studium auf die Arbeit in einem Team vorbereitet werden und ihnen verdeutlicht wird, dass sie als Lehrkraft nicht mit jeglicher Problematik allein umgehen müssen. Um der Unwissenheit über bereits bestehende Hilfsangebote zu begegnen, sollen diese im Rahmen einer jährlichen Veranstaltung in geeigneter Art und Weise den Schüler:innen sowie dem Kollegium vorgestellt werden.
Schulen sollten aktiv dazu beitragen, Schüler:innen beim Umgang mit Stress und psychischen Erkrankungen zu unterstützen. Es ist notwendig, dass der Bund Programme fördert/initiiert, mit Hilfe derer Schulen den Schüler:innen Angebote schaffen können, Stress wirksam zu bewältigen, welche auch in der regulären Unterrichtszeit durchgeführt werden können.
Ebenso ist es wichtig, dass Veranstaltungen zur Aufklärung von den Schulbehörden angeboten werden und Lehrkräfte in den Einzelfällen eng mit den Expert:innen zusammenarbeiten, um die psychischen Erkrankungen und deren Auswirkungen auf die Leistungen zu verstehen. Dafür ist es auch essentiell, dass Lehrkräfte und Sozialarbeiter:innen im ständigen Austausch mit den Schüler:innen und gegebenenfalls auch den Eltern, stehen – denn diese kennen die Auswirkung ihrer Erkrankung selbst am besten und können erkennen, ob und welche Nachteilsausgleiche hilfreich sind.
Personal
Jede Schule soll über mindestens eine:n Schulsozialarbeiter:in verfügen, die Anzahl soll sich hierbei proportional an der Anzahl der Schüler:innen einer Schule bemessen. Eine Vollzeitkraft soll maximal für 150 Schüler verantwortlich sein. Schularten, welche einen größeren Bedarf haben, wie zum Beispiel Förderschulen, sollten hierbei deutlich mehr Personal zur Verfügung haben. Auch Schulpsycholog:innen sollte es mindestens eine Vollzeitstelle pro 1000 Schüler geben, um die Schulsozialarbeit zu ergänzen. Der Bund muss die Attraktivität des Berufs des:r Schulsozialarbeiter:in und Ausbildungen im Bereich der sozialen Arbeit deutlich steigern, da hier großer Mangel besteht. Auch in der Schulpsychologie müssen mehr Stellen ausgeschrieben und die Attraktivität des Berufs gesteigert werden.
Mental Health Coaches
Mit den Mental Health Coaches des Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, die im September 2023 an 100 Standorten deutschlandweit anlaufen, hat der Bund einen guten Ansatz für Prävention und Aufklärung von psychischen Krankheiten geschaffen, den es in der Zukunft weiter auszubauen und zu stärken gilt. Dabei muss vor allem für eine flächendeckende Versorgung von Mental Health Coaches sowie ausreichend Weiter- und Ausbildungsmöglichkeiten gesorgt werden, um diese effektiv und bundesweit einzusetzen. Ebenso sollte die längerfristige Finanzierung durch den Bund gesichert werden, um einen wirklichen längerfristigen Effekt durch das Projekt zu erzielen.
Säule 3: Aufklärung und Enttabuisierung
Insgesamt braucht es an Schulen von allen Beteiligten einen wertschätzenden Umgang mit psychischer Gesundheit. Dazu gehört auch, die individuellen Herausforderungen der Schüler zu berücksichtigen. Wenn ein Umdenken stattfindet, könnte der Stress für alle erheblich reduziert werden und die Schule zu einem angenehmeren Ort werden. In der Realität fehlt es in den meisten Schulen jedoch an Ressourcen und einem starken Unterstützungssystem. Damit schaffen sie es bei weitem nicht, den Bedürfnissen der Schüler gerecht zu werden.
Aktuell haben nicht alle Lehrkräfte die notwendigen Kenntnisse, um Schüler bei ihren mentalen Problemen zu unterstützen. Dabei haben sie eine persönliche Verbindung, die in diesem Zusammenhang häufig hilfreich ist. Mehr Fortbildung für Lehrkräfte zur psychischen Gesundheit können deshalb dem Schulleben viel Gutes tun. Gleichzeitig sind Lehrkräfte keine Psychologen und Therapeuten – und diesen Anspruch sollte man auch nicht stellen. Dementsprechend muss der Spagat zwischen Aufklärung und Überforderung gewahrt bleiben.
Sowohl Schulsozialarbeiter:innen als auch Schulpsycholog:innen sollen mehr Möglichkeiten haben, präventiv und aufklärend zu arbeiten. So können Probleme mit geringerem Aufwand verhindert werden. Der Bund sollte außerdem Projekte initiieren, finanziell unterstützen und gemeinsam mit allen an Schule Beteiligten ausgestalten, die dabei unterstützen.
Deshalb muss die Schule auch über externe Anlaufstellen informieren. Ähnlich dem österreichischen Beispiel „Erste Hilfe für die Seele“ könnte dies über bundesweit ausgegebene Aufklärungsbroschüren geschehen. Aber auch Projekttage und Workshops von Externen können vielen Schülern weiterhelfen. Soziale Medien spielen eine immer größer werdende Rolle bei der Entstehung und Verfestigung von mentalen Problemen. Von Cybermobbing zu einem stärkeren sozialen Anpassungsdruck verändern die sozialen Medien die Dynamik in der Schule stark. Eine Aufklärung über diese Herausforderungen von sozialen Medien findet jedoch meist viel zu spät statt. Dazu lässt schon häufig die Medienkompetenz der Lehrer zu wünschen übrig.
Nicht nur in diesem Bereich zeigt sich, dass Prävention Probleme mit geringem Aufwand verhindert, bevor sie entstehen. Deshalb müssen Schulsozialarbeiter und Schulpsychologen viel häufiger die Möglichkeit erhalten, früher einzugreifen, bevor es zu spät ist.
Um der tiefgreifenden Bedeutung von psychischer Gesundheit mehr Ausdruck zu verleihen, sollte dieses Thema sichtbarer gemacht werden. Dies könnte mit der Einführung eines Zertifikats „gesundheitsfördernde Schule“ mit dem Schwerpunkt „psychische Gesundheit“ geschehen. Damit hätten die Schulen ein klares Ziel vor Augen, mit konkreten Maßnahmen, wie sie dem Thema mehr Beachtung schenken können.
Psychische Gesundheit ist ein zentrales Thema der Schule. Denn wenn die Schule zum Ort der Qualen wird, kann kein Lernen funktionieren. Trotz dieses Stellenwertes finden mentale Probleme jedoch nicht genügend Beachtung. Damit die häufig im Schulalter beginnenden mentalen Probleme verhindert und bekämpft werden, muss die Politik auf allen Ebenen handeln. Deshalb sollte der Bund Projekte häufiger initiieren und stärker finanziell unterstützen. Nur so kann er gemeinsam mit allen an Schulen Beteiligten psychische Probleme nachhaltig bekämpfen.